02. September 2012 · Kommentare deaktiviert für EU-Ausbeutung west- und nordafrikanischer Küstengewässer · Kategorien: Europa, Marokko, Mauretanien · Tags: , ,
german foreign policy schreibt am 03.09.2012:
Fischerboote im Netz

BRÜSSEL/BERLIN

(Eigener Bericht) – Umwelt- und Entwicklungsorganisationen protestieren scharf gegen die Ausbeutung der westafrikanischen Küstengewässer durch die deutsche bzw. europäische Fischereiindustrie. Die Überfischung der Meere Westafrikas durch industrielle Fangflotten aus der Europäischen Union sei „nachhaltig zu bekämpfen“, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme des Evangelischen Entwicklungsdiensts (EED). Hintergrund ist die desolate Lage der einheimischen Kleinfischer, die mit der modernen, die Fischbestände Westafrikas dezimierenden EU-Konkurrenz nicht mithalten können und bei der immer prekäreren Sicherung ihres Lebensunterhaltes zu teils lebensgefährlichen Manövern gezwungen werden. Zu den Unternehmen, die, gestützt nicht zuletzt auf Millionensubventionen aus dem EU-Haushalt, mit industrieller Fischerei vor Westafrika immense Profite erzielen, gehören auch deutsche Unternehmen. Berlin federt die Fang-Aktivitäten deutsch-europäischer Firmen durch Maßnahmen der sogenannten Entwicklungspolitik ab.
Überkapazitäten
Die aktuellen Proteste, die von Umweltorganisationen wie Greenpeace, aber auch von Entwicklungsvereinigungen wie dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) getragen werden, richten sich gegen die fortdauernde Ausbeutung des Meeres vor der westafrikanischen Küste durch Fangflotten aus der EU. Hintergrund ist die Überfischung der europäischen Gewässer, die bereits in den 1970er Jahren zu ersten Fangverboten in der Nordsee führte. Da der an sich notwendige Abbau der Überkapazitäten in der Industriefischerei Gewinneinbußen verursachen würde, sind die EU und ihre Fischereiunternehmen, darunter deutsche, schon in den 1990er Jahren dazu übergegangen, ihre Fangaktivitäten systematisch in außereuropäische Meere zu verlagern, vor allem in die Gewässer vor der westafrikanischen Küste. Betroffen sind Länder wie Marokko, Mauretanien, Senegal und Guinea-Bissau.
Hocheffizient
Greenpeace hat die EU-Aktivitäten am Beispiel der Pelagic Freezer-Trawler Association (PFA) beschrieben, eines Verbandes, der die Interessen von neun Fischereiunternehmen aus EU-Staaten vertritt, darunter die Doggerbank Seefischerei GmbH aus Bremerhaven. Die PFA-Mitgliedsfirmen betreiben laut Greenpeace 34 Gefriertrawler, die zu den größten Fischereischiffen der Welt gehören und gut 200 bis 250 Tonnen Fisch pro Tag fangen und unmittelbar weiterverarbeiten können – dank moderner Tiefkühl-, Sonar- und Satellitentechnologie. Von 2007 bis 2009 erzielten die PFA-Firmen damit Einnahmen von fast einer halben Milliarde Euro jährlich. Die Jahresgewinne werden auf gut 55 Millionen Euro geschätzt. PFA-Schiffe sind mittlerweile nicht nur vor Westafrika, sondern auch nahe Australien und vor der Küste Chiles auf Tour. Ihre Kapazitäten sind so gewaltig, dass sie laut Greenpeace etwa „die gesamte mauretanische Fischereizone“ binnen weniger Tage komplett nach Fischbeständen absuchen und entsprechend hocheffizient fangen können.[1]
Unter Wasser gezogen
Die Folgen für die Fischer an der westafrikanischen Küste, deren Zahl auf 1,5 Millionen geschätzt wird, und für die von ihnen abhängigen Wirtschaftszweige (Weiterverarbeitung, Transport, Handel) sind fatal. Viele Bestände sind in höchstem Maß dezimiert; die einheimischen Fischer können nicht gegen die hochmodernen Technologien der europäischen Schiffe konkurrieren, die in der Lage sind, Fischschwärme im Umkreis von mehreren Kilometern präzise zu lokalisieren, und müssen deshalb immer größeren Aufwand betreiben, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. „Vor zehn Jahren bin ich über Tag hinausgefahren und hatte meinen Fang“ [2], wird ein mauretanischer Fischer zitiert: „Jetzt muss ich zwei Wochen lang aufs offene Meer hinausfahren und trotzdem fange ich weniger.“ Sogar unmittelbarer physischer Gefährdung sind die einheimischen Fischer ausgesetzt. Gelegentlich seien in den Netzen der EU-Schiffe Angelausrüstungen zu finden, weil diese den kleinen Fischerbooten zu nahe gekommen seien, berichten Deckarbeiter. Nicht selten brächten die europäischen Trawler sogar „das Leben der Fischer“ in Gefahr, erläutert ein Aktivist, „weil die unbeleuchteten Holzboote der Einheimischen oft in die Netze geraten und unter Wasser gezogen werden“ [3] – mitsamt der in ihnen sitzenden Menschen.
Millionensubventionen
Die europäischen Fischfang-Praktiken vor der westafrikanischen Küste werden von der EU und der Bundesregierung mit Millionenbeträgen unterstützt. So hat die EU allein zwischen 2006 und 2012 mehr als 142 Millionen Euro für die Fischfangrechte vor den Küsten Mauretaniens und Marokkos bezahlt; weniger als zehn Prozent müssen von den Fischereiunternehmen aus Europa zurückgezahlt werden. Allein die in der PFA zusammengeschlossenen Firmen bezogen in den Jahren von 1994 bis 2006 Subventionen in Höhe von mindestens 21,2 Millionen Euro für Bau und Modernisierung ihrer Schiffe aus Brüsseler Töpfen. Im selben Zeitraum erhielt die PFA 24,5 Millionen Euro für den Bau eines Rechenzentrums, zwischen 2007 und 2010 bekam sie 1,1 Millionen Euro zur Modernisierung der Ausrüstung und zur „Verbesserung der Marktposition“.[4] Hinzu kommen nationale Zuschüsse in gleicher Höhe, bei denen mit 85 Prozent der größte Anteil vom deutschen Staat bezahlt wurde. Schließlich profitiert die PFA von einer Steuerbefreiung auf Treibstoff, die ihr zuletzt Einsparungen in einer Höhe von über 78 Millionen Euro jährlich einbrachte. Greenpeace geht davon aus, dass die PFA-Unternehmen ohne die EU-Subventionen überhaupt nicht profitabel arbeiten könnten: „Ohne die Zuschüsse aus öffentlicher Hand“ würde sich Analysen zufolge, heißt es, „ihr durchschnittlicher Jahresgewinn von 54,7 Millionen Euro in Verluste von 50,3 Millionen Euro verwandeln“.
Entwicklungshilfe
Um die Fischer Westafrikas, denen die europäischen Schiffe systematisch die Lebensgrundlage entziehen, bemüht sich Berlin auf zweierlei Weise. So hat zum Beispiel in den Jahren von 2005 bis 2010 die deutsche Entwicklungsagentur GIZ im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums den Aufbau der Commission Sous-Régionale des Pêches (Dakar, Senegal) unterstützt, die in Westafrika für ein „nachhaltiges Ressourcenmanagement“ sorgen soll. 35 Prozent der Fischbestände dort seien „überfischt oder von Überfischung bedroht“, hieß es zur Begründung.[5] Ein vergleichbares Projekt hat die GIZ ebenfalls im Auftrag des Entwicklungsministeriums 2010 in Mauretanien begonnen. Es soll bis 2013 fortgeführt werden. Die Maßnahmen ermöglichen es, der Bevölkerung Unterstützung zu suggerieren und damit Proteste zu spalten oder ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen, ohne die – dank der Zuzahlung europäischer Steuerzahler profitable – Industriefischerei einschränken zu müssen. Über den Erfolg der „entwicklungspolitischen“ Interventionen in Sachen Fischfang an der Küste Westafrikas äußert der EED, allenfalls „punktuell“ seien „gewisse Entwicklungseffekte“ zu konstatieren.[6]
Flüchtlingsabwehr
Die zweite Form deutscher Reaktionen auf die desolate Lage der westafrikanischen Fischer besteht im Auf- und Ausbau der EU-Fluchtabwehrbehörde Frontex. Immer wieder suchen westafrikanische Fischer, die aufgrund der europäischen Fangaktivitäten ihre Familien nicht mehr ernähren können, ihre Schiffe zu nutzen, um in die EU zu entkommen und dort ein erträgliches Auskommen für sich und ihre Angehörigen zu finden. Um sie wie auch andere Flüchtlinge zurückzuhalten, hat Berlin die Gründung der Frontex-Behörde und danach die systematische Ausweitung von deren Fluchtabwehr-Aktivitäten vorangetrieben. In einer ihrer ersten Operationen drängte Frontex zwischen August und Dezember 2006 insgesamt 57 Boote mit 3.887 Passagieren, die aus Westafrika auf die Kanarischen Inseln übersetzen wollten, auf das Festland zurück; 2007 war schon von bis zu 8.000 abgewiesenen Migranten die Rede.[7] Die Abschottung der zu Spanien gehörenden Inseln gegen Einwanderer aus Westafrika führt Frontex seitdem unter dem Namen „Hera“ fort – bis heute.
[1] [2] Greenpeace: Plündern um jeden Preis. EU-Fischfang vor Westafrika, Februar 2012
[3] „Die Westafrikaner müssen profitieren“; www.ndr.de 16.06.2012
[4] Greenpeace: Plündern um jeden Preis. EU-Fischfang vor Westafrika, Februar 2012
[5] Unterstützung des fischereilichen Managements in Westafrika; www.giz.de
[6] Fischerei; www.eed.de
[7] s. dazu Die Herren der Meere, Drei Fronten und Auf Leben und Tod

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