22. Juni 2014 · Kommentare deaktiviert für Grenze Italien-Schweiz: Ständige Flüchtlingsjagd und Fluchthilfe · Kategorien: Italien · Tags: ,

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„Dutzende Illegale kommen jede Nacht über die Grenze

Kampf gegen die Schleppermafia

Die Grenze zu Italien ist löchrig. Jetzt intensiviert die Grenzwache den Einsatz gegen die Menschenschmuggler.

Von Leo Ferraro (Text) und Tom Lüthi (Fotos)

Die Grenzwächter am Bahnhof von Chiasso TI umstellen eine Gruppe dunkelhäutiger Männer. Sie sind mit dem Zug aus Mailand (I) gekommen, haben keine Papiere. Die Grenzwächter bringen sie ins Empfangszentrum für Asylbewerber. 80 Prozent der illegalen Einwanderer kommen mit dem Zug in die Schweiz.

Plötzlich bricht Hektik aus. «Ein Schlepper!», ruft Patrick Benz (39). Er hat am Funk gehört, dass eine mobile Patrouille ein verdächtiges Fahrzeug gesehen hat. Einen blauen Alfa Romeo mit Tessiner Kennzeichen. Die Grenzwächter rennen sofort zu ihrem Auto, mit Blaulicht und Sirene rasen sie davon. Am Bahnhof fährt der Zug aus Mailand ein. Personenkontrollen gibt es diesmal keine.

Hotspot Tessin: Mehr als 6000 Menschen kamen im letzten Jahr illegal über die Südgrenze in die Schweiz, viele von ihnen mit Schleppern. 113 Menschenschmuggler gingen den Grenz­wächtern allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres ins Netz. Im gleichen Zeitraum 2013 waren es nur 49!

Oft sind es anerkannte Flüchtlinge mit Wohnsitz in der Schweiz, die aus der Not der anderen Profit schlagen. «Die Schlepper sind oft in der Schweiz lebende Ausländer aus Syrien, Eritrea, Sudan, Somalia oder dem Kosovo, die ihre Landsleute ennet der Grenze abholen», sagt Patrick Benz. […]

Nacht für Nacht spielen die Menschenschmuggler mit den Grenzwächtern im Tesssin Katz und Maus. Schlepper ohne Wohnsitz in der Schweiz können die Grenzwächter neu in Untersuchungshaft nehmen. «Davon erhoffen wir uns eine abschreckende Wirkung», sagt Mauro Antonini (50), Kommandant der Grenzwacht im Tessin. Für den Sommer erwartet Antonini noch mehr Asylsuchende: «Der Migrationsdruck aus dem Süden wird weiter steigen.»

320 Mann stark ist Antoninis Truppe. Rücken sie zu einem Einsatz aus, gibt es anderswo Lücken. Ohne Verstärkung aus der Deutschschweiz wären die Tessiner komplett am Anschlag.

Die Zölle an der Autobahn und an der Hauptstrasse in Chiasso sind rund um die Uhr besetzt. Am Bahnhof wachen die Grenzwächter, so lange Züge fahren. Die rund zwei Dutzend kleinen unbewachten Grenzübergänge kontrollieren sie nur sporadisch mit mobilen Einheiten. Wer die Gegend kennt, hat kaum Probleme, unbemerkt Menschen in die Schweiz zu bringen.

Der Schlepper im blauen Alfa kennt sich offenbar genau aus. Das gemeldete Fahrzeug hat die Grenze beim Übergang Ponte Faloppia passiert. Sofort errichten die Grenzwächter an der Hauptstrasse eine Strassensperre – doch der Schlepper kommt nicht. Er kennt einen Schleichweg.

Mehrere Patrouillen suchen die Umgebung ab, eine weitere jagt auf der Autobahn Richtung Norden. Nach einer halben Stunde Suche müssen die Grenzwächter aufgeben. Inzwischen gibt es schon zu viele Möglichkeiten, wo der Schlepper sein könnte. «Das war ein Profi», sagt Benz. Auf der Fahndungsliste des Grenzwachtkorps steht der Alfa schon länger – doch erwischt wurden er und sein Lenker noch nie.

Inzwischen ist es nach Mitternacht. Am Bahnhof Chiasso ist es ruhig geworden. Die Grenzwächter warten auf einen der letzten Züge aus Italien. Da werden Patrick Benz und sein Team zum Autobahn-Zoll gerufen. Wieder ein Schlepper! Am Steuer des Wagens sitzt ein anerkannter Flüchtling aus Eritrea mit Wohnsitz im Kanton St. Gallen. Auf dem Rücksitz ein 24-jähriger Landsmann. Ausweispapiere hat der Mann nicht, in der Hand hält er nur seinen Fluchtplan. «Milano – Commo – Luganno SWI», steht darauf gekritzelt.

Der Fahrer behauptet, seinen Passagier nicht zu kennen, er habe ihn nur mitgenommen, weil der Mann den Bus verpasst habe. Benz: «Es wird für die Strafverfolgungsbehörden nicht einfach werden, den Menschenschmuggel zu beweisen.»

Weil der Schlepper einen festen Wohnsitz in der Schweiz hat, kann er gehen. Seinen Landsmann legen die Grenzwächter in Handschellen und begleiten ihn ins Empfangszentrum für Asylbewerber. Wenn ihn die italienischen Behörden nicht registriert haben, hat er es geschafft: Dann kommt er ins Schweizer Asylverfahren. Die Flucht mit den Schleppern hat sich für ihn gelohnt.“

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