Protestcamp in Gafsa, Demo in Tunis – und wieder Selbstmordversuche
Laut AFP, Radio Mosaique FM, TunisieNumerique und diversen Blogs haben Hunderte Jugendliche wie ältere Leute aus der entlegenen Phosphatregion Gafsa am 30. April 2012 in der Innenstadt von Tunis demonstriert, mit diesen Slogans:
- „Arbeit, Freiheit, Würde!“
- „Die Regierungen wechseln, die Phosphatbergwerke bleiben!“
- „Qatar [das derzeit finanziell wie politisch in Tunesien investiert] nimm dein Geld zurück, das Phosphat von Gafsa ist die Lösung!“ („Qatar reprend ton argent, le phosphate de Gafsa est la solution“) sowie
- der Gleichsetzung der alten und der neuen Wirtschaftsmächte in Tunesien.
Die Demonstration zog vom Platz Mohamed-Ali vor dem Sitz der UGTT-Gewerkschaft zum Innenministerium auf der Avenue Habib Bourguiba. Sie wurden von der „Union des diplômés chômeurs“, dem „Forum tunisien des droits économiques et sociaux“ und der „Associations de défense des martyrs et blessés de la révolution“ unterstützt.
Die Arbeitslosen protestieren gegen die ungerechte und undurchsichtige Einstellungspraxis des nationalen Phosphatwerks „Compagnie des phosphates de Gafsa“ (CPG), die die lokale Bevölkerung großenteils leer ausgehen lässt und damit zu einer dramatischen Zunahme der Armut in der Region beiträgt. Der tunesische Phosphatexport beschert dem Land wichtige Deviseneinnahmen. Bei der letzten Bewerbungsrunde wurden nur 4.000 Personen eingestellt, bei 28.000 arbeitslosen BewerberInnen aus der Region Gafsa.
Die Demonstration in Tunis fand vor dem Hintergrund laufender Proteste und Unruhen in Gafsa statt. Das Phosphatwerk wird seit einem Jahr immer wieder blockiert. Seit 14 Tagen gibt es ein Protestcamp vor dem lokalen Sitz des Arbeitsministeriums. Zur gleichen Zeit, als in Tunis demonstriert wurde, fand auch eine Protestveranstaltung in Gafsa statt. Zwei Familienväter, Abdekrim Boulahya und Kemaies Saaï aus der Ortschaft Om Larayes, beide seit vielen Tagen im Protestcamp im Hungerstreik, haben dabei versucht, sich in aller Öffentlichkeit aufzuhängen, wurden aber gerettet. Andere Berichte sprechen sogar von vier Selbstmordversuchen. Die soziale Unzufriedenheit und Verzweiflung ist – so viele Berichte – bis aufs Äußerste gespannt, die Bevölkerung erwartet seit langem eine Intervention des Staats gegen die Leitung des Phospatswerks, aber die Regierung bleibt untätig.
Seit vier Nächten laufen in Gafsa zudem Unruhen, mit Molotov-Angriffen auf die Polizeistationen und Angriffen auf öffentliche Gebäude, 100 Jungendliche wurden bereits verhaftet. Grund dieser Proteste ist, dass die Regierung die Zahlung der Entschädigungsraten für Märtyrer der Revolution gestoppt und eine umfangreiche Prüfung angeordnet hat. Im ersten Halbjahr 2011 hatte es lange Kämpfe um Entschädigung von Verletzten und Angehörigen von Toten gegeben. Nachdem die ersten beiden Raten ausgezahlt worden waren, hat die Regierung jetzt die Kriterien und Nachweispflicht verschärft, die die zu Entschädigenden vor unlösbare Probleme stellen. Zeitgleich spricht die Regierung von Fälschungen von Zertifikaten und fordert Rückzahlungen. Die Solidarisierung der Bevölkerung in der Gafsa-Region mit den Märtyrer-Familien ist enorm. Am 30.04.2012 fand ein Generalstreik in der Stadt statt.
Überdies wurde öffentlich, dass über 100 Entschädigungsberechtigte seit einem Jahr untergetaucht sind. Im Frühjahr 2011 – also nach dem Sturz Ben Alis – hatte eine Repressionswelle gegen die anhaltenden Proteste eingesetzt, und strafrechtliche Verfolgungen halten seitdem an.
http://juralib.noblogs.org/2012/04/30/revolution-tunisienne-nouvelles-de-gafsa-et-du-kef/