10. März 2015 · Kommentare deaktiviert für Mittelmeer: ‚Schwimmende Telefonzelle‘ – Sea Watch · Kategorien: Alarm Phone, Italien, Libyen, Mittelmeerroute · Tags:

NDR | rbb Radio Eins | Spiegel Online

„Schwimmende Telefonzelle“ für Flüchtlinge

Eigentlich ist Wasser nicht Harald Höppners Element. „Ich bin eine Landratte und fahre am liebsten mit dem Wohnmobil durch die Gegend“, sagt der 41-Jährige. Trotzdem steht er heute am Harburger Lotsekai auf dem schwankenden Deck eines Kutters – mit dem er sich Ende März auf den Weg ins Mittelmeer machen wird. Der Grund: Höppner und einige Mitstreiter wollen in Seenot geratenen Flüchtlingen helfen. Zurzeit laufen die letzten Umbauarbeiten an ihrem Schiff, das in Kürze auf den Namen „Sea-Watch“ getauft wird. Wenn Höppner auf die andere Seite des Lotsekais blickt, sieht er das Wohnschiff Transit, in das kürzlich die ersten Flüchtlinge eingezogen sind. Zufall? „Absolut – aber eigentlich könnte unser Liegeplatz nicht passender sein“, lacht er.

Harald Höppner (re) und Skipper Tilmann Holsten

EU-Flüchtlingspolitik „unerträglich“

„Die vielen Meldungen von Menschen, die auf der Flucht nach Europa ertrinken, haben uns schwer erschüttert“, erzählt der Mann aus Brandenburg. Die EU-Grenzpolitik sei „unerträglich“. Mit Verweis auf fehlende finanzielle Unterstützung hat Italien „Mare Nostrum“, eine Maßnahme der Marine zur Seenotrettung von Bootsflüchtlingen, im Herbst vergangenen Jahres beendet. Seither sichert die Mission „Triton“ der EU-Grenzschutzbehörde Frontex die Grenzen – ausgestattet mit etwa einem Drittel der Mittel.

Aus privaten Spenden finanziert

Die Verantwortlichen würden „billigend in Kauf nehmen“, dass Hunderte Flüchtlinge beim Versuch, das Meer zu überqueren, sterben, kritisiert Höppner. Dieser Politik will die Initiative „Sea-Watch“ etwas entgegensetzen. Vier Familien aus Brandenburg haben das aus privaten Spenden finanzierte Projekt ins Leben gerufen. Mittlerweile ist die Zahl ihrer aktiven Unterstützer auf 50 angewachsen.

Leichte Augenringe zeugen von viel Arbeit und wenig Schlaf in den vergangenen Tagen, aber wenn Höppner von „Sea-Watch“ erzählt, blitzen seine blauen Augen. „Im Grunde sind wir eine schwimmende Telefonzelle mit Rettungsfunktion“, bringt er die anvisierte Aufgabe der „Sea-Watch“ auf den Punkt.

500 Rettungsinseln an Bord

Nordwestlich der libyschen Küste wollen die Aktivisten als „schwimmendes Auge“ nach gekenterten Booten Ausschau halten. Dabei helfen sollen Radar und eine „Aircam“, eine Kamera, die an einem heliumgefüllten Ballon über dem Schiff schwebt und den Suchradius auf etwa 40 Kilometer Umkreis erweitert. Sobald sie Menschen in Seenot bemerken, wollen die Helfer die Küstenwache verständigen und mit Rettungswesten und Rettungsinseln Erste Hilfe leisten. Etwa 500 Stück dieser aufblasbaren Plattformen haben sie an Bord.

Enge Zusammenarbeit mit Notruf-Hotline

Zudem will die Crew eng mit „Watch the Med“ zusammenarbeiten. Diese Initiative hat eine 24-Stunden-Hotline geschaltet, bei der sich Flüchtlinge in Seenot oder Angehörige melden können. Wenn Notrufe eingehen, kontaktieren die Helfer die zuständigen Behörden und versuchen so, Rettungsaktionen einzuleiten. Künftig werden sie auch die „Sea-Watch“ vor Ort anfunken können. „Einfach klasse, dass es dieses Schiff gibt“, freut sich Conni Gunßer von „Watch the Med“, die auch dem Flüchtlingsrat Hamburg angehört.

„Sea-Watch“ will Flüchtlinge nicht an Bord nehmen

Flüchtlinge an Bord zu nehmen, plant das „Sea-Watch“-Team nicht. Zum einen ist der 20 Meter lange und sechs Meter breite Kutter dafür zu klein, zum anderen ist es eine rechtliche Frage. „Dafür sind die entsprechenden Behörden zuständig.“ Generell wollen sich die Helfer an die Richtlinien für Skipper und Crews zur Rettung von Flüchtlingen in Seenot halten, die Pro Asyl herausgegeben hat.

Initiative will ein Zeichen setzen

Höppner und sein Team wissen, dass ihr Einsatz „nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist“. Sie hoffen aber darauf, „ein Zeichen zu setzen“ und öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Mit Bildern und Videos im Internet wollen sie über das Flüchtlingsdrama auf dem Mittelmeer informieren. Der dreifache Familienvater hat selbst mit Bootsflüchtlingen gesprochen und ist entsetzt über das, was sie erlebt haben. Und noch etwas bewegt den Mann, der vor der Wende 18 Jahre lang in der ehemaligen DDR aufgewachsen ist. „Wenn ich mir vorstelle, ich hätte damals versucht, über die Ostsee in den Westen zu fliehen – da wäre ich auch für jede Hilfe dankbar gewesen.“

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