„Die Welt erwacht – das Morden geht weiter
Syrien am Vorabend einer möglichen Militärintervention
Von Samar Yazbek
Die zivilgesellschaftlichen Kräfte, welche die syrische Revolte anstiessen, sind heute von zwei Seiten – dem Regime und den jihadistischen Gruppierungen – bedroht. Die Schriftstellerin und Journalistin Samar Yazbek, eine führende Stimme der Opposition, sieht auch in einer westlichen Intervention kaum Grund zur Hoffnung.[…]
Als Syrer und als Nation möchten wir unser Land selbst wiederaufbauen, möchten es von allen Ideologien und Interessen befreien, die man uns aufgezwungen hat, von jeglicher Form fremder Interferenz – angefangen bei den Abkommen, die zwischen arabischen und westlichen Staaten und dem Asad-Regime in der Hoffnung auf eine Zurückbindung der jihadistischen Elemente getroffen wurden, bis hin zum gegenwärtig drohenden Militärschlag westlicher Grossmächte in Konjunktion mit arabischen Staaten.
Es gibt einen signifikanten Unterschied zwischen «Syrien» und dem «syrischen Regime». Wir wissen, dass die Aktionen des Westens nicht vom Wunsch herrühren, uns zu beschützen; man hat uns mehr als zweieinhalb Jahre lang sterben lassen.
[…] Wir warten immer noch, und noch immer hält auch der Widerstand an. Tag für Tag, und trotz anhaltenden Bombardements seitens der Regierungsstreitkräfte, wird in den befreiten Regionen rasche Aufbauarbeit geleistet. Das syrische Volk beweist weiterhin Standhaftigkeit und Heldenmut. Eines Tages wird sein Schicksal als Beispiel menschlicher Grösse gewürdigt werden – die Geschichte eines Volkes, das aus den Qualen von Belagerung, Hunger und Kriegsgewalt das Fundament einer neuen, lebendigen Nation gezimmert hat.
Ich selbst warte mit Ungeduld auf den Fall des Regimes, auch wenn mir bewusst ist, dass das Nachspiel blutig sein wird. Es kann jedoch nicht schlimmer werden als das, was ich bis heute gesehen habe, der Blutzoll kann nicht höher werden als die über hunderttausend bereits ausgelöschten Leben. Ich bin überzeugt, dass Asads Sturz die bescheidene Pforte zu unserer eigentlichen Revolution sein wird – zu der Zeit, da wir auf einem von jeder Spur der Diktatur gereinigten Boden eine demokratische Gesellschaft gründen. Eine Gesellschaft, die weder in religiösem Extremismus wurzeln noch neue interkonfessionelle Spaltungen hervorbringen wird.“