07. September 2013 · Kommentare deaktiviert für Spanien: Verbrechen der Franco-Diktatur – in Europa amnestiert, in Argentinien Ermittlungen · Kategorien: Spanien

Spanien wird in Argentinien wegen der Olympia-Bewerbung an den Pranger gestellt

Das südamerikanische Land ermittelt gegen die Verbrechen der Franco-Diktatur, die man in Europa amnestierte

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154918

Darío Rivas hatte sich nie erträumt, seine Klage in Argentinien gegen Verbrechen während der Franco-Diktatur in Spanien könnte im Rahmen einer Olympia-Bewerbung diskutiert werden. Im April 2010 hatte er in dem südamerikanischen Land eine Klage angestrengt, der sich 250 Kläger angeschlossen haben. In der Hauptstadt Buenos Aires ermittelt seither die Ermittlungsrichterin María Servini de Cubría Vorgänge, die in Spanien straflos geblieben sind. Da sich hier entscheidet, ob in der spanischen Hauptstadt Madrid, in Tokio oder in Istanbul die Olympischen Spiele 2020 ausgetragen werden, wird in Argentinien kritisiert, dass „Madrid die Hauptstadt der Straflosigkeit“ sei.

Unter diesem Motto haben am Freitag vor dem abgeriegelten Theater Colón viele Menschen protestiert, als das Internationale Olympische Komitee (IOC) zusammenkam. Am Samstag entscheidet das IOC hier, wer den Zuschlag für die Spiele erhält und erneut wird es vor dem Theater Proteste geben.

Die Proteste stoßen auch im argentinischen Parlament auf große Sympathien. Vergangene Woche wurde dort eine Erklärung zur Unterstützung der spanischen Kläger verabschiedet. Sie ähnelt der, die zuvor das baskische Regionalparlament und etwa 100 spanische Gemeindeparlamente verabschiedet haben.

crimenes ninosrobadosArgentina_0_170083695.html Verurteilt werden die „Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Spanien durch die Franco-Diktatur“ genauso wie „die Straflosigkeit, welche die Verantwortlichen bis heute genießen“. Man erklärt sich solidarisch mit den Opfern und unterstützt ausdrücklich werden die Ermittlungen in Argentinien, mit der die „historische Erinnerung, die Wahrheit und die Gerechtigkeit“ gefördert werden sollen. Die Initiative wurde angesichts der absoluten Untätigkeit der spanischen Justiz in Buenos Aires aufgegriffen.

Parlamentarier hatten sich zuvor mit Mitgliedern der spanischen „Nationalen Koordination zur Unterstützung der argentinischen Klage“ (CeAqua) getroffen, die sich im Land aufhalten. Mit den „Müttern des Platzes der Mairevolution“ und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International wurde eine Plattform gebildet, um den Klägern zu helfen. In Argentinien versteht man das Problem, auch hier hatten Amnestiegesetze lange die Militärs vor einer Strafverfolgung geschützt.

Kindesraub als lukratives Geschäft

Die Ermittlungsrichterin befragte am vergangenen Dienstag Soledad Luque Delgado. Während der 93-jährige Rivas klagt, sein Vater, sozialistischer Bürgermeister der Gemeinde Castro Rei in Galicien, sei 1937 von den Putschisten ermordet worden, sucht Luque ihren Zwillingsbruder. Sie glaubt, auch er gehöre zu den schätzungsweise 300.000 geraubten Kindern. Francisco verschwand am 18. Februar 1965 aus der Entbindungsstation eines Madrider Krankenhauses. Es ist bekannt dafür, dass hier viele Kinder geraubt wurden, die zum Teil ihre leiblichen Eltern schon wiedergefunden haben.

„Auch meine Eltern haben nie die Leiche gesehen“, sagt die 48-Jährige. Das Kind sei angeblich gestorben, nachdem es von den Nonnen in den Brutkasten gebracht worden war. Zunächst wurden die Eltern vertröstet, dann sei plötzlich die Leiche verbrannt worden und sogar die Asche verschwand. „Nie hat ein Arzt eine Sterbeurkunde unterschrieben“, fügt sie an. Die Vorgänge gleichen sich. Längst haben auch „Eltern“ den angeblichen Kindern gestanden, sie „gekauft“ zu haben, nachdem sie den leiblichen Eltern geraubt wurden. Bis zu 200.000 Peseten, so viel kostete damals eine Wohnung, wurden bezahlt.

In Argentinien ist die Sensibilität für das Ermorden von Regimegegnern und den Kinderraub groß, weil das auch in der Militärdiktatur bis 1983 an der Tagesordnung war. In Spanien wurden Franco-Gegnern die Kinder zunächst wegen „schädlicher Ideen“ ihrer Eltern abgenommen. Das schrieb die franquistische „Kinderschutzbehörde“. Aus einem ihrer Berichte geht hervor, dass nach Putsch 1936 und dem Sieg im Bürgerkrieg 1939 bis 1944 schon mehr als 12.000 Kinder „umerzogen“ wurden. Zehn Jahre später sollen es schon 54.000 gewesen sein. Mit der Zeit wurde der Kindesraub zum lukrativen Geschäft. Statt Frauen in Internierungslagern oder Gefängnissen die Kinder zu entreißen, wurde später den Müttern in Kliniken meist erklärt, sie seien nach der Geburt gestorben.

Faschistische Seilschaften, die nach dem Tod des Diktators 1975 amnestiert wurden, sollen die Geschäfte noch bis in die 1990er Jahre fortgeführt haben. Die Vorgänge in Diktatur bis 1975 wurden amnestiert und damit haben Luque und Rivas das gleiche Problem und hoffen im Rahmen der universellen Justiz auf die Ermittlungen in Argentinien. Eigentlich, darauf weisen Menschenrechtsorganisationen hin, können Verbrechen gegen die Menschlichkeit ohnehin weder verjähren noch amnestiert werden. Spanien verhindert aber Ermittlungen konsequent. Als ein Ermittlungsrichter 2008 anordnete, Massengräber zu öffnen, in den bis heute noch über 100.000 Regimegegner liegen, wurde er vom Dienst suspendiert und angeklagt.

CeAqua hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Täter nicht nur straflos blieben, sondern dass die Namen von zahlreichen Faschisten auch weiterhin die Straßen der spanischen Hauptstadt zieren. Es sind insgesamt 184 und darunter auch General Mola, einer der Hauptakteure des Putschs 1936 gegen die spanische Republik. Die in Spanien regierende Volkspartei (PP) wurde erneut damit konfrontiert, dass sie von ehemaligen Ministern der Diktatur gegründet wurde und sich bisher weder vom Putsch und der blutigen Diktatur distanziert hat.

Ralf Streck

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