Angeblich wird der libysche Übergangsrat bald eine Ausschreibung für ein hochgerüstetes Grenzüberwachungssystem veröffentlichen. Das Projekt könnte das teuerste seiner Art werden
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Europäische Rüstungskonzerne stehen vor milliardenschweren Aufträgen in Libyen. DefenseNews berichten, die libysche Übergangsregierung verhandele über den Kauf einer sensorgestützten Grenzsicherungsanlage. Zu den Interessenten gehören demnach alle großen Anbieter zivil-militärischer Überwachungstechnik: EADS Cassidian, Finmeccanica, Thales und BAE Systems. Auch die US-amerikanischen Rüstungskonzerne General Dynamics und Northrop Grumman gehören zu den potentiellen Bietern. An Vorverhandlungen sind die britische, französische und italienische Regierung beteiligt.
Zwar ist bislang keine Ausschreibung veröffentlicht worden. Jedoch wird davon ausgegangen, dass es sich bei den gewünschten Systemen um Radar, Kameras, Drohnen, Hubschrauber und geländegängige Fahrzeuge handelt. Die gesamte Plattform soll durch hochtechnisierte Kommandozentralen gesteuert werden. Das Projekt wird als Wiederintegration früherer bewaffneter Kämpfer beworben: Die Anlagen sollen von bewaffneten Rebellen als eine Art Grenz-Miliz betrieben werden.
Libyen will in dem neuen Anlauf seine mehr als 4.000 langen Grenzanlagen modernisieren. Zu den Nachbarländern gehören Algerien, Tunesien, Niger, Tschad, Sudan und Ägypten. Auch die Küste würde perspektivisch von dem Projekt erfasst. Daran wird deutlich, dass es weniger um die Verhinderung des Einsickerns von „Terroristen“ geht: Die Sperranlagen sollen unerwünschte Migranten hindern, über Libyen in die EU einzureisen.
Der Europäischen Union dürfte die neue Initiative sehr gelegen kommen, da sie ab 2014 mit EUROSUR ein eigenes Grenzüberwachungssystem in Betrieb nehmen will (Intelligente Festung Europa). Alle Mitgliedstaaten sollen schrittweise an eine gemeinsame Plattform angebunden werden, in der bereits vorhandene Kapazitäten miteinander vernetzt werden. Auch militärische „Sensoren“ gehören dazu, darunter Radar und Luftaufklärung. Alle Informationen laufen in der Zentrale der Grenzschutz-Agentur FRONTEX in Warschau zusammen. Perspektivisch sollen auch die nordafrikanischen Länder Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen an EUROSUR angeschlossen werden.
Das von Libyen jetzt gestartete Projekt knüpft an Vorhaben der italienischen Regierung an, die bereits vor dem Sturz Gaddafis eine derartige Anlage bauen wollte. Laut damaligen Überlegungen sollte die Anlage auch an NATO-Aufklärungskapazitäten angegliedert werden. Gemeint ist womöglich der Militärstützpunkt Sigonella auf Sizilien, wo die USA seit 2008 die Langstrecken-Drohnen „Global Hawk“ stationiert haben.
Damals hatte der italienische Finmeccanica-Ableger SELEX einen Auftrag über 300 Millionen Euro geschlossen. Die Firma hatte bereits mit den Arbeiten begonnen, als Gaddafi gestürzt wurde.
Italienische Politiker reisten noch zu Beginn der Revolution ins Land, um mit den Rebellen über die Fortdauer existierender Verträge zu verhandeln, sollten diese aus den Kämpfen als Sieger hervorgehen. Wohl um die EU-Mächte nicht zu vergraulen, hatten die Rebellen dies mehrfach und öffentlich zugesichert. Selbst der italienische Außenminister und frühere EU-Kommissar Franco Frattini hatte sich der Sache angenommen. Vor über einem Jahr erklärte Frattini, der Übergangsrat habe sich verpflichtet, „alle Verträge, auch jene mit den italienischen Unternehmen zu respektieren, die Gaddafi abgeschlossen hatte“.
Jetzt will Finmeccanica weitere Komponenten installieren. Ein Flugzeug wurde bereits geliefert, während Hubschrauber längst im Land gefertigt werden: AgustaWestland, ein Ableger von Finmeccanica, hatte vor zwei Jahren eine italienisch-libysche Fabrik eröffnet.
„Quellen aus der Industrie“ haben DefenseNews verraten, dass sich für die erwartete Ausschreibung eine größere Bietergemeinschaft bilden würde: Die britische KBR würde als Hauptvertragsnehmer operieren, während am Gesamtvorhaben BAE, EADS Cassidian, Northrop Grumman UK, Selex Galileo und sogar der britische Ableger von Lockheed Martin beteiligt wären. Viele der Firmen haben Erfahrung in Libyen. Ein Konsortium aus EADS, BAE und Finmeccanica hatte etwa 2007 einen Vertrag über fast 700 Millionen Euro zur Lieferung von Panzerabwehrraketen abgeschlossen.
Gute Chancen dürfte aber Finmeccanica mit seinen zahlreichen Tochterfirmen haben, die bereits seit Jahren in Libyen aktiv sind. Die Firmen profitieren unter anderem vom italienisch-libyschen Freundschaftspakt von 2008, der massive italienische Investionen im Land vorsah (Lizenz zum Töten?).
Von der Politik erwarten sich die Bieter politische Schützenhilfe für das zeitlich noch unbestimmte Vorhaben. Verzögerungen könnten etwa eintreten, weil Libyen noch einem Embargo der Vereinten Nationen unterliegt. Das betrifft jedoch nur militärische Güter, während Anwendungen für Polizei und Grenzschutz mit einer Sondergenehmigung geliefert werden könnten.
Das Projekt wäre womöglich das teuerste je errichtete Grenzsicherungssystem – den zweifelhaften Rekord hält derzeit EADS in Saudi-Arabien mit einem Volumen von zwei Milliarden Euro. Bei der Ausbildung von Polizei und Militär an der deutsch-französischen Anlage helfen auch Behörden (Deutsches Militär unterstützt hochgerüsteten Grenzschutz in Saudi-Arabien).