28. Mai 2012 · Kommentare deaktiviert für Australien – Boat-people dauerhaft interniert · Kategorien: Nicht zugeordnet · Tags: ,

„Sicherheitsverwahrung“

In Australien befinden sich ca. 50 anerkannte Flüchtlinge auf unbestimmte Zeit in Haft – ohne Anklage und ohne Verfahren. (NZZ 26.05.2012) Sie waren größtenteils als Boat-people nach Australien gekommen. Der Geheimdienst betrachtet sie als mögliches Sicherheitsrisiko, und so bleiben anerkannte Flüchtlinge in Australien unbefristet in Haft – ohne die Möglichkeit, sich gegen das Verdikt zu wehren.

In der Zeitung heisst es: „In Sri Lanka hatte er eine Hühnerfarm, seine Frau war Anwältin und schaute zu den zwei kleinen Kindern. Doch der Bürgerkrieg holte die Familie Rahavan ein, und in der Endphase des Konflikts, im Frühling 2009, beschlossen sie zu flüchten, zunächst nach Indonesien und schliesslich mit dem Boot nach Australien. Familie Rahavan suchte Schutz. Stattdessen befindet sie sich nun seit fast drei Jahren in Haft, zuerst auf Christmas Island, dann in Sydney im Haftzentrum Villawood. Dort ist auch ihr drittes Kind zur Welt gekommen. Heute leben sie in einer Hafteinrichtung namens «Sydney Immigration Residential Housing», einer humaneren Umgebung als Villawood, aber in Unfreiheit.

Seine achtjährige Tochter, erzählt Yogachandran Rahavan am Telefon, werde von Sicherheitsleuten zur Schule begleitet. Warum das so sei, hätten ihre Schulkameraden sie gefragt – sie aber habe keine Antwort gewusst. Und dann habe sie ihn gefragt, warum sie inhaftiert seien, was er verbrochen habe? Doch auch der Vater kannte die Antwort nicht.

Die Rahavans sind weder Asylsuchende, noch wird ihnen eine Straftat vorgeworfen. Vielmehr sind sie bereits vor zwei Jahren offiziell als Flüchtlinge anerkannt worden: der Vater von den australischen Behörden, die Mutter und die Kinder vom Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR). Geht es aber nach dem australischen Nachrichtendienst Asio, sind die Eltern ein Risiko für die nationale Sicherheit. Wie die Asio zu diesem Schluss gekommen ist, wissen die Rahavans nicht. In Befragungen ging es laut Yogachandran Rahavan um vermutete Verbindungen zu den Tamil Tigers. «Wir lebten zehn Jahre in einer Gegend, die von den Tamil Tigers kontrolliert wurde», sagt er dazu. «Wir zahlten ihnen Steuern, wir hatten gar keine andere Wahl, aber wir haben nichts getan, was eine negative Sicherheitsbeurteilung begründen würde.»

Die Beurteilung der Asio ist abschliessend. Weder muss der Geheimdienst gegenüber den Betroffenen Rechenschaft ablegen, noch können diese gegen den Befund ein Rechtsmittel ergreifen. Die Folgen für die Betroffenen sind indes weitreichend: Trotz Flüchtlingsstatus ist ihnen die Niederlassung in Australien verwehrt, und sie bleiben für unbestimmte Zeit in Haft. «Wir haben keine Ahnung, wie es weitergehen wird», sagt Rahavan, «wir leben in der Schwebe. Es ist verheerend.»

Die Rahavans sind nicht die Einzigen, die sich nach der Flucht aus ihrer Heimat in dieser hoffnungslosen Situation wiedergefunden haben. Insgesamt sind laut den australischen Immigrationsbehörden derzeit 47 Personen auf unbestimmte Zeit inhaftiert, weil die Sicherheitsüberprüfung durch den Nachrichtendienst negativ ausgefallen war. Laut unbestätigten Berichten kam es in jüngster Zeit zu mehreren Suizidversuchen in einem der Haftzentren.

Dass eine Behörde eine Person ohne Angabe von Gründen für unbefristete Zeit inhaftieren könne und ohne dass dies von unabhängiger Seite überprüft werden könne, sei ziemlich einzigartig, sagt Graham Thom von Amnesty International. Das UNHCR bezeichnete die Praxis Australiens in einer Eingabe an ein Senatskomitee im vergangenen Jahr als «undurchsichtig» und kritisierte das Fehlen einer Rechenschaftspflicht. Es merkte zudem an, dass in anderen Staaten ungleich weniger Personen aus Sicherheitsgründen inhaftiert würden, wobei dort – anders als in Australien – Schutzvorkehrungen existierten, um die Interessen der Betroffenen und jene des Staates in ein Gleichgewicht zu bringen.

Ein Sprecher des Departements für Immigration gab keine direkte Antwort auf die Frage, ob Australien ausschliessen könne, dass es mit seiner Praxis internationales Recht verletze. Er betonte indessen, dass Australien versuche, die betroffenen Flüchtlinge wenn möglich in ein sicheres Drittland zu transferieren. Es ist allerdings fraglich, welches Drittland einen Flüchtling aufnehmen will, den Australien als Risiko für die nationale Sicherheit erklärt hat. Ob die Laborregierung einer unlängst erfolgten Empfehlung des Senatskomitees folgen und den Betroffenen dereinst eine Appellationsmöglichkeit einräumen wird, ist ungewiss.

Vielleicht nimmt ihr auch das Gericht die Entscheidung ab. Diese Woche hat der auf Flüchtlingsrecht spezialisierte Anwalt David Manne am High Court, dem höchsten Gericht Australiens, im Namen eines seit drei Jahren inhaftierten Flüchtlings mit negativer Sicherheitsbeurteilung Klage eingereicht. Laut Manne verstösst die australische Praxis unter anderem gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens. Es sei, sagte er in einem Fernsehinterview, wie die Verurteilung zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe – ohne Anklage, Gerichtsverfahren und Richterspruch.“

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