12. Oktober 2014 · Kommentare deaktiviert für Alarm Phone: ORF · Kategorien: Alarm Phone, Medien

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Irmi Wutscher

Alarm-Phone für Bootsflüchtlinge

Die Organisation „Watch the Med“ dokumentiert Fälle von Bootsunglücken im Mittelmeer, bei denen Flüchtlinge nicht oder nicht schnell genug gerettet werden. Jetzt wollen sie ein Alarm-Phone für in Seenot geratene Flüchtlinge einrichten.

Seit Jahresbeginn sind mehr als 3.000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken, das sind bereits jetzt mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Und trotzdem ist 2013 mit zwei großen Bootkatastrophen ins allgemeine Gedächtnis eingegangen: Am 3. Oktober 2013 sind bei einem Bootsunglück mindestens 360 Menschen gestorben. Wenige Tage später, am 11. Oktober, ist wieder ein Flüchtlingsboot vor Lampedusa gesunken, obwohl es gerettet werden hätte können. 34 Menschen kamen damals ums Leben.

Bootsunglücke dokumentieren

„Die beiden Unglücke vor Lampedusa am 3. und am 11. Oktober waren für viele ein einschneidender Moment“, sagt Lisa Bolyos. „Es ist ja nicht so, als würden wir uns nicht bei jeder und jedem Toten ärgern und wissen, das hätte nicht sein müssen und trauern. Da war aber der Punkt gekommen, wo so wahnsinnig viele Leute offensichtlich dem Tod überlassen worden sind. Danach haben sich auch sehr viele europäische PolitikerInnen in einer vielversprechenden Art und Weise geäußert und den Angehörigen wurde viel zugesagt. Passiert ist aber nichts.“

Watch the Med ist ein Zusammenschluss verschiedener Flüchtlings-Organisationen und AktivistInnen rund um das Mittelmeer, der nach den Unglücken vor Lampedusa aus der Initiative Boats for People hervorgegangen ist. Mit dabei ist zum Beispiel die Berliner Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, afrique-europ-interact und die Info-Seite „Welcome to Europe„.

Watch the Med versteht sich als Plattform, die Bootsunglücke und Todesfälle von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer dokumentiert. Indem sie Mobilfunkdaten, Wind- und Seeströmungen, aber auch Erzählungen von Flüchtlingen oder ZeugInnen aufnimmt und kombiniert, können diese Unglücksfälle nachvollzogen werden.

Screenshot der Seite watchthemed.net

Zuständigkeiten auf See

Ein Grund, warum Hilfe für Flüchtlinge in Seenot oft zu spät kommt, sind verschiedene Zuständigkeiten auf See. Die in Seenot Geratenen müssten wissen, in welchem Hoheitsgebiet sie sich befinden und die Nummer der jeweiligen Küstenwache des Landes parat haben. „Die europäischen Behörden haben es nicht geschafft, eine zentrale Notrufnummer für das Mittelmeer zu etablieren“, ärgert sich Lisbeth Kovačič. An diesem Punkt will das Alarmphone jetzt einhaken: „Man ruft dann eben nur bei dieser einen Nummer an und wir versuchen herauszufinden, wo befindet sich das Schiff das in Seenot ist und wer ist dafür zuständig und versuchen die zu alarmieren.“

Das Alarmphone funktioniert nach einem Callcenter-System: Es gibt eine Nummer, die angerufen wird und der Anruf wird an das jeweils diensthabende Team weitergeleitet. Teams gibt es in mehreren Ländern Europas, sie sind meistens mehrsprachig. Manchmal machen sogar Menschen Dienst, die selber als Bootsflüchtlinge nach Europa gekommen sind.

Flüchtlinge auf einem Boot vor Lampedusa

Flüchtlinge auf einem Boot vor Lampedusa

Lisbeth und Lisa sind Teil der Watch-the-Med-Gruppe in Wien und übernehmen hier Hotline-Dienste. „Wobei man dazu sagen muss, dass wir das nicht als Service für die Küstenwachen etabliert haben“, sagt Lisa Bolyos. „Vielmehr wollen wir sagen: Hier fehlt es total an Infrastruktur. Natürlich wäre es möglich, wenn Leute die maltesische Küstenwache anrufen und eigentlich die spanische zuständig ist, dass die maltesische Küstenwache das weitergibt. Das wird eben bis jetzt nicht gemacht.“

Retten statt Tote zählen

Den Aktivistinnen von Watch The Med geht es mit dem Alarmphone darum, einzuschreiten, bevor jemand stirbt, und nicht wieder Tote zu zählen und zu betrauern. Die Nummer soll jetzt an potenzielle Flüchtlinge in Nordafrika und in der Türkei verteilt werden. Ab dem Wochenende ist die Hotline dann rund um die Uhr besetzt.

Ob die Telefonnummer wirklich ihren Weg zu Flüchtlingen finden wird, und die in der Not dann daran denken, sie zu benutzen, wird sich zeigen. Die Initiative soll die EU wieder einmal daran erinnern, was an ihren Außengrenzen passiert. „Es geht darum, sichere Seewege zu schaffen für Leute, die auf der Flucht sind oder migrieren“, sagt Lisa Bolyos. „Wie verstehen unser Projekt – obwohl es in erster Linie eine Rettungsinitiative ist – auch als ein politisches Statement: ‚So kann’s nicht weitergehen‘. Es wäre so einfach, das Mittelmeer zu einem Ort der sicheren Überfahrt zu machen und das muss einfach schnell passieren.“

Bei den Trauerfeiern auf Lampedusa am 3. Oktober gab es wieder viele schöne Worte. Aber zum Beispiel wird die Aktion „Mare Nostrum“ der Italienischen Regierung, bei der die Italienische Marine 140.000 schiffbrüchige Flüchtlinge gerettet hat, mangels Beteiligung der EU wahrscheinlich eingestellt (die Mission kostet zwischen 6 und 9 Mio. Euro im Monat). Oder sie wird durch eine EU-Mission ersetzt werden, die von Frontex selbst durchgeführt wird, deren vorrangiges Ziel die Rückführung der Flüchtlinge ist.

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