18. August 2013 · Kommentare deaktiviert für Ägypten: „Das blutige Wüten der Konterrevolution“, 18.08.2013 · Kategorien: Ägypten, Lesetipps
18. August 2013

Veröffentlicht auf arbeitermacht

Offizielle Zahlen sprechen von über 500 Menschen, die beim Versuch der ägyptischen Generäle, den Protest der Muslimbrüder niederzuwerfen, massakriert wurden. Ihr Protest richtet sich gegen den Militärputsch am 3. Juli, durch welchen ihr Präsident, Mohamed Mursi, abgesetzt und verhaftet worden war. Die Muslimbrüder sprechen sogar von tausenden Toten. Das Militär bzw. das Präsidialamt verhängte außerdem einen einmonatigen Ausnahmezustand.

Welch Illusionen man auch immer in die “revolutionären” Ziele der Generäle gehabt haben mag, so wurden sie auf den blutigen Böden der Kairoer Krankenhäuser und Leichenhallen weggeschwemmt. Die Wunden Tausender, welche sich gegen den Militärputsch gestellt haben, sind ein Beweis dafür, dass die Militärjunta um al-Sisi ein unerbittlicher Feind der ägyptischen Revolution ist.

Die Arme entschied sich, die Bruderschaft zu zerschlagen, da sie sich keinen zivil-politischen Rivalen parallel zu ihrer Herrschaft erlauben kann. Die Revolution befindet sich somit in der Stunde ihrer größten Gefahr. Das Militär, welches sich selbst als „Verteidiger der Revolution“ darstellt, erweist sich nun als ihr Totengräber.

All jene, welche die Revolution des 11. Februar unterstützten und sie gegen Tantawi und Mursi verteidigten, müssen dies nun auch gegen al-Sisi tun. Sie müssen sich gegen den Ausnahmezustand stellen, dass Recht auf friedliche Massenproteste auf den Straßen und Plätzen verteidigen, das Streikrecht und freien Medienzugang einfordern sowie die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen, darunter der Muslimbrüder und Mursi selbst.

Zwei Gesichter der Konterrevolution

Die Muslimbrüder haben jedoch selbst den Prozess eingeleitet, der zu den Massakern an der Rabaa al-Adawiya Moschee sowie am Nadha Platz führte.

Durch einen manipulierten Wahlprozess, welcher die meisten Kräfte der Februarrevolution außen vor ließ, an die Macht gekommen, begann Präsident Mursi seine Position und die Interessen der Kapitalsektionen, welche er repräsentierte, zu sichern. Dies geschah durch Angriffe in die demokratischen Errungenschaften der Revolution.

Mursi benutzte den von Mubarak, Sadat und Nassar geerbten Sicherheitsapparat gegen die ägyptischen ArbeiterInnen und die Jugend, welche weiter darum kämpften, die Errungenschaften von 2011 auszuweiten – Errungenschaften, an denen die Führung der Muslimbrüderschaft keinen Anteil hatte.

Als die UnterstützerInnen der Muslimbrüder-Proteste auch Streiks der Arbeiterklasse angriffen, als sie nichts für die Entlassung der in Militärgefängnissen eingesperrten RevolutionärInnen taten und ihre Schlägertrupps koptische Kirchen angriffen, wandten sich die Masse der ägyptischen ArbeiterInnen und Jugendlichen gerechtfertigter Weise gegen sie. Dies gipfelte in den überwältigenden Anti-Mursi-Demonstrationen im Mai und Juni.

Obwohl die Herrschaft von Mursi und seiner Muslimbrüderschaft einen neuen Feind der ägyptischen ArbeiterInnen repräsentiert, zeigt der Militärputsch von al-Sisi, dass der alte Feind, die Militärkaste und ihr repressives Regime, nie besiegt wurde. Er hat nur auf seine Zeit gewartet.

Als über 17 Millionen Menschen gegen Mursis autoritäre Präsidentschaftsherrschaft aufbegehrten, sahen die Generäle ihre Chance und forderten ein weiteres Mal den Fall des Regimes und die Weiterführung der Revolution.

Dank einer Allianz zwischen den opportunistischen FührerInnen der Tamerod-Bewegung, darunter verräterische Liberale wie El Baradei – welche sich eine Chance ausmalten, das Militär zur Ablösung von Mursi zu benutzen – und den Feloul, den ehemaligen Agenten des Mubarak-Regimes, war die Armee in der Lage, der Bewegung auf der Straße die Initiative zu entreißen, so wie sie es schon 2011 getan hatte, als sie Mubarak aus dem Amt jagte.

Eine bittere Ernte

Die Putschisten vom 3. Juli sprachen von der „Verteidigung der Revolution“ und der Vorbereitung neuer Wahlen. Jedoch macht die Entscheidung, die Basis der Muslimbrüder zu zerschlagen, deutlich, dass die Arme jede kommende Wahl als reine demokratische Farce verwenden wird, um ihre eigentliche Diktatur zu verschleiern.

Die Politiker, welche den Putsch begrüßten und dem Marionetten-Kabinett beitraten, haben Blut an ihren Händen, die sie auch nicht – wie El Baradai – durch einen Rücktritt oder die Beteuerung, dass sie betrogen worden wären, abwaschen können.

Die nationale Kapitalistenklasse Ägyptens ist schwach und gespalten. Ihr stärkstes ziviles Element, repräsentiert durch die Muslimbrüder, kann die ökonomische und physische Kraft des Militärs nicht direkt herausfordern. Die Teile der KapitalistInnen, welche durch die liberale Partei repräsentiert werden, sind noch schwächer.

Es ist nun eindeutig, dass selbst der Kampf um eine demokratische Revolution – welche freie und gleiche Wahlen, die Rede- und Versammlungsfreiheit, Frauen- und religiöse Minderheitsrechte sowie das Streik- und Organisationsrecht der Arbeiter etablieren könnte – nicht den Liberalen oder IslamistInnen, ja selbst den mit ihnen verbundenen radikaleren Jugendorganisationen überlassen werden kann.

Wer kann nun aber die Revolution vor der Konterrevolution – in ihrer militärischen oder islamistischen Form – retten?

Die Klassen, die die Revolution tragen, müssen sie auch führen!

Das größte Hindernis, um die revolutionären Ziele der ägyptischen Arbeiterklasse und verarmten Massen zu erreichen, bleibt das Militär und ihre institutionalisierte Form der Repression: die Geheimpolizei, die paramilitärischen Einheiten und die Spezialschlägertrupps, welche Berichten zufolge für die gezielte Ermordung von AktivistInnen verantwortlich sind.

Ohne die Kräfte des alten Regimes – welche nicht nur von den Generälen, sondern auch von den Muslimbrüdern geschützt und aufrechterhalten wurde – restlos zu zerschlagen, kann die Revolution nicht weitergehen. Die Macht der Generäle über ihre Einheiten, die Kette an Befehls- und Militärdisziplin muss durchbrochen werden. Dies bedeutet, dass die Basis der Soldaten davon überzeugt werden muss, die Schießbefehle auf die Bevölkerung zu verweigern und ihre Offiziere und Generäle auszuwechseln. Eine neue Militärführung und -disziplin muss durch die Wahl von Soldatenkomitees und -räten geschaffen werden. Nur so können “die Armee und das Volk eine Hand sein”. Die mörderischen Spezialeinheiten müssen zerschlagen und diejenigen, die diese Befehle gaben, vor ein revolutionäres Gericht gestellt werden.

Die demokratischen Ziele der Februarrevolution können nur dann Wirklichkeit werden, wenn die Arbeiterklasse die Führung übernimmt im Kampf zur Entmachtung der Diktatur sowie bei der Etablierung der revolutionären Macht der Massen, basierend auf Räten der ArbeiterInnen, der Jugend, der Bauern und Bäuerinnen und der städtischen Armut. Aber wenn die Macht der ausgebeuteten Klassen etabliert und verteidigt werden soll, darf sich die Revolution nicht mit demokratischen Forderungen begnügen. Um die Forderung des Februar 2011 nach “sozialer Gerechtigkeit” zu realisieren, muss die Revolution eine ArbeiterInnen- und Bauernregierung bilden, welche soziale Maßnahmen beschließt: die Nationalisierung der Fabriken, Banken und großen Handelsunternehmen, die Beschlagnahme des Militärbesitzes sowie des Großgrundbesitzes.

Kurz gesagt, die ägyptische demokratische Revolution ist ununterbrochen konfrontiert mit der Bewältigung von demokratischen sowie sozialistischen Aufgaben. Dies kann nicht durch einen automatischen, „unbewussten“ Prozess funktionieren, diese Maßnahmen benötigen die Führung der organisierten Arbeiterklasse. Deshalb müssen die ArbeiterInnen, unterstützt von der revolutionären Jugend, Delegiertenräte und Massenversammlungen einberufen, sowie den Aufbau einer Miliz voranbringen, um sich selbst gegen das Militär und die islamistischen Schläger zu verteidigen. Im Zuge dessen und so schnell wie möglich, müssen sich alle sozialistischen Gruppierungen und GewerkschaftsaktivistInnen in einer revolutionären Partei vereinigen. Diese benötigt ein klares Programm, welches auf der Strategie der Permanenten Revolution basiert.

Für Massenmobilisierungen, Streiks und die Bildung von Selbstverteidigungsorganen!

Die Tage der Platzbesetzungen sind solange vorbei, wie der Ausnahmezustand anhält und die Soldaten ihren Offizieren und Generälen gehorchen. Die erste Aufgabe ist es nun, deutlich zu machen, dass nicht nur die IslamistInnen gegen den Putsch sind, sondern auch die Arbeiterklasse und die revolutionäre Jugend.

Die gesellschaftliche Stärke der Generäle liegt darin, dass sie einen großen Teil der Bevölkerung davon überzeugen konnten, dass die Muslimbrüder die eigentliche Gefahr darstellen und das Militär nur ausgerückt wäre, um Demokratie, Säkularismus und Minderheitenrechte zu verteidigen. Diese Stärke kann nur durch massive politische Agitation der ArbeiterInnen- und Jugendorganisationen geschwächt werden, welche ein sofortiges und bedingungsloses Ende des Ausnahmezustandes fordern.

Gegen das Terrorregime müssen ArbeiterInnen ihre eigene Verteidigung organisieren. Zu einer Zeit, in welcher die Armee ihre Waffen auf die Bevölkerung richtet, wäre es Selbstmord zu glauben, alles andere als bewaffnete Selbstverteidigung stünde nun auf der Tagesordnung. Wie das Beispiel in Syrien jedoch zeigt, kann selbst ein bewaffnetes Volk allein keine professionell und diszipliniert geführte Armee besiegen, v.a. wenn diese Arme jedes Jahr 3,1 Milliarden Dollar von den USA erhält.

Der revolutionäre Kampf hängt stark von der Fähigkeit der ArbeiterInnen ab, die einfachen Soldaten für sich zu gewinnen. Selbst al-Sisi ist misstrauisch beim Einsatz von Grundwehrdienern bei der blutigen Unterdrückung. Er vertraut lieber seinen Spezialeinheiten. Die größte Angst der Generäle ist, dass die Disziplin der großen Masse der Soldaten von der Loyalität zu ihrer eigenen Klasse untergraben wird. Auf diesen wunden Punkten müssen sich die Organisationen von ArbeiterInnen und Bauern konzentrieren. Solidaritätsaufrufe sollten nicht nur von den nationalen Organisationen, sondern auch von den Familien und Heimbezirken der Soldaten erfolgen.

Alle Revolutionen haben gezeigt, dass diese Methode, verbunden mit dem Aufkommen einer neuen Kraft im Land – die organisierten ArbeiterInnen und Bauern – die Soldaten davon überzeugen kann, ihre Waffen umzudrehen und auf ihre Generäle und nicht mehr ihre eigenen Brüder und Schwestern auf der Straße zu richten.

Die Arbeiterklasse muss sich ihrer historischen Kampfmethoden bewusst werden, um ihre wahre Kraft gegen das Militärregime mobilisieren zu können. Wir müssen davon ausgehen, dass das Militär den Ausnahmezustand auch dazu verwenden wird, Streiks zu zerschlagen und ArbeiterInnen zu verhaften.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt, wenn der Widerstand in den Fabriken und industriellen Bezirken wächst, wird der Aufruf nach einem Generalstreik das wichtigste Thema werden. Dieser muss initiiert und angeleitet werden von demokratischen Räten der Arbeiterklasse. So könnten Millionen von Menschen aktiviert werden und die ausbeuterische Kontrolle über die von den ägyptischen ArbeiterInnen produzierten Wohlstand herausfordern.

Einberufung einer konstituierenden Versammlung und der Kampf für eine Arbeiterregierung

Die Generäle haben eine neue konstitutionelle Verordnung herausgegeben und werden alles in ihrer Macht stehende tun, um die Wahlen zu manipulieren, sollten sie diese überhaupt durchführen. ArbeiterInnen und revolutionäre Jugendliche müssen deshalb eine souveräne konstituierende Versammlung einfordern, ausgerufen und angeleitet von den demokratischen Organisationen der Arbeiterklasse. Die Aufgabe dieser Versammlung sollte die Erarbeitung einer neuen Verfassung sein, welche die Rechte der Arbeiterklasse und Unterdrückten gegen die Interessen der Generäle, der KapitalistInnen und den (US)-Imperialismus verteidigt.

Ihr Gelingen oder ihr Scheitern hängt davon ab, ob sie die Fähigkeit hat, die Basis einer neuen Konterrevolution zu zerstören. Das Eigentum der Kapitalisten, die Generäle sowie die Anlagen ausländischer Millionäre müssen verstaatlicht und unter Arbeiterkontrolle gestellt werden. Die Generäle müssen verhaftet und vor Gericht gestellt werden.

Die konstituierende Versammlung muss zusammensetzt sein aus Delegierten, welche direkt abwählbar sind. Es darf nur eine Regierung aus ArbeiterInnen, Bauern und Jugendlichen anerkannt werden, welche sich auf die Massenorganisationen des Kampfes stützt, die demokratischen Forderungen der Bevölkerung in Gänze erfüllt, die Bewaffnung der Massen voranbringt und den Repressionsapparat auflöst. Diese Regierung wird die Enteignung der AusbeuterInnen durchführen, um die dringendsten Bedürfnisse der ArbeiterInnen, der Armen und Arbeitslosen zu befriedigen.

• Nieder mit al-Sisi und der Armeespitze – bringt die Mörder der Bevölkerung vor Gericht!

• Schluss mit dem Ausnahmezustand und der Ausgangssperre – Wiedereinführung der Versammlungs- und Demonstrationsrechte! Freilassung aller politischen Gefangenen!

• Verteidigt die Kopten u.a. religiösen Minderheiten, verteidigt Frauen gegen Übergriffe von religiösen Fanatikern oder Staatsprovokateuren!

• Weder ein Militärregime noch die Rückkehr von Mursi – für eine ArbeiterInnen- und Bauernregierung!

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