08. Februar 2014 · Kommentare deaktiviert für Afrika in Armut · Kategorien: Mittelmeerroute · Tags: ,

nzz 08.02.2014:

„[…] wer sich in Quartieren abseits der Stadtzentren umschaut, entdeckt kaum Unterschiede zum Jahr 2000. Immer noch beherrschen in Lagos, Libreville, Kinshasa oder Dakar ungeteerte Strassen das Bild, die während der Regenzeit unpassierbar werden; überschwemmte Hauseingänge, stinkende Abwasserkanäle, Abfallberge und Malariamücken machen das Leben zum Vabanquespiel, während man Trinkwasser von einem öffentlichen Brunnen nach Hause schleppen muss und das nächste Spital am andern Ende der Stadt liegt.

Abends, wenn man den Strom am nötigsten hätte, fällt er aus, und all die herumlungernden Jungen zeigen, dass nicht nur die Geburten-, sondern auch die Arbeitslosenrate so hoch ist, dass sie gar nicht erst erhoben wird. Die meisten wursteln sich mit Gelegenheitsjobs im informellen Sektor durch. Ein Schulbesuch, der über ein paar Jahre hinausgeht, ist die Ausnahme. Polizisten, die die Bevölkerung mit sinnlosen, erpresserischen Kontrollen quälen, sind oft der einzige «Service public».

Laut der Weltbank lebt weltweit ein Drittel der extrem Armen – mit weniger als 1 Dollar 25 pro Tag – in Schwarzafrika. Vor 30 Jahren waren es nur elf Prozent. Weil Afrika nicht industrialisiert ist, gibt es auch keine Arbeiterklasse (ein schlechtbezahlter Job wäre immer noch besser als gar keiner). Man gehört der Ober- oder Mittelschicht an – oder zu diesen 400 Millionen, die ums Überleben kämpfen. Ein Dazwischen gibt es fast nicht. Denn die afrikanische Wirtschaft basiert immer noch in hohem Masse entweder auf Subsistenz-Landwirtschaft oder auf dem Export von Rohstoffen. Wird Anbau im modernen Stil betrieben, dann unter chinesischer Ägide und für den asiatischen Markt. Die Industrialisierung Afrikas lässt auf sich warten, produziert wird wenig. Der Konsum mag noch so sehr gewachsen sein – für eine solide, nachhaltige Entwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen führt kein Weg an der Produktion und am Verkauf von Waren vorbei. In Afrika aber wird nur gerade ein Prozent der Waren dieser Welt hergestellt.

Entsprechend vorsichtig muss man mit den Angaben zum angeblich rasant wachsenden Mittelstand sein. 315 Millionen Menschen zählen laut der Afrikanischen Entwicklungsbank dazu. Das ist angesichts einer Gesamtbevölkerung von 860 Millionen südlich der Sahara bemerkenswert und erstaunlich. Tatsächlich zählt die Entwicklungsbank allerdings jeden mit mehr als 2 Dollar pro Tag zum Mittelstand. Dies ermöglicht aber auch in Afrika kein menschenwürdiges Leben.

Bei den Reichen grassiert Kapitalflucht. Laut vorsichtiger Zählung leben im subsaharischen Afrika mindestens 55 Milliardäre und 2500 Millionäre; doch viele zahlen keine Steuern und verschieben ihr Geld ins Ausland, anstatt es auf dem Kontinent zu investieren. Nach Schätzungen gehen dem Kontinent so jährlich 55 Milliarden Dollar verloren. […]

Afrika ist in wenigen Jahren vom präindustriellen ins digitale Zeitalter gesprungen. Das zeigt sich an den Handys. Drei von vier Personen verfügen über eines. Die Rate ist so hoch, weil es vorher kaum ein Telefonnetz gab. Auch das Internet verbreitet sich so rasch, weil kaum ein funktionierendes Postwesen existierte. Das führt zu seltsamen Ungleichzeitigkeiten: Ein Betrieb wickelt die internationale Logistik per Computer ab, aber ein Lastwagen braucht dann für die 800 Kilometer von Abidjan nach Lagos fünf Tage wegen der schlechten Strassen und der Zollübergänge, wo alles von Hand in Bücher geschrieben und der Fahrer bis zur Verzweiflung geschröpft wird. Die politischen und kulturellen Voraussetzungen für eine postindustrielle Dienstleistungsgesellschaft sind nicht gegeben, die Modernisierung ist oberflächlich. […]“

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